Rico Cioccarelli: «Mister SwissSkills» tritt kürzer
An nicht weniger als 23 World- und EuroSkills hat Rico Cioccarelli teilgenommen, an 15 davon als technischer Delegierter der Schweiz. Rico hat wie kaum eine andere Person die WorldSkills-Bewegung auf nationaler wie auch auf internationaler Stufe in den vergangenen 30 Jahren geprägt. Als technischer Delegierter von SwissSkills tritt er per Ende Jahr definitiv ab und übergibt auch seine internationalen Aufgaben an seinen Nachfolger Martin Erlacher. Dennoch bleibt der Bündner, der soeben von WorldSkills International zum Ehrenmitglied ernannt wurde, SwissSkills treu: Als Präsident des SwissSkills Supporter Club setzt er sich weiterhin für seine grosse Leidenschaft ein.
Anfang November wurdest du in Zürich von ganz vielen Weggefährten verabschiedet, für dein riesiges Engagement gefeiert und von WorldSkills International gar zum Ehrenmitglied ernannt. Was bedeutete dir dieser Abend?
Es war ein toller Abend. Ich hatte in dieser «WorldSkills-Familie» eine wunderbare Zeit, konnte viele Freundschaften aufbauen. Dass dann selbst aus dem Ausland diverse Wegbegleiter nach Zürich gekommen sind, hat mich schon berührt. Es war eine grosse Ehre und ist sicher auch ein Zeichen dafür, dass ich eine gute Arbeit gemacht habe.
Warum hat dich dieses WorldSkills-Virus über 30 Jahre lang nicht mehr losgelassen?
Neben den vielen Begegnungen, Freundschaften und tollen Erlebnissen im Team war und ist der Hauptantrieb das Engagement für die Berufsbildung in unserem Land. Ich bin überzeugt davon, dass wir von der Teilnahme an diesen internationalen Berufsmeisterschaften profitieren und sie dazu beitragen, uns zu verbessern. Wir haben in der Schweiz einen hohen Standard, aber wir sehen, dass auch andere Länder ohne duales Bildungssystem etwas können.
Du warst 1991 erstmals bei WorldSkills dabei und hast die ganze Entwicklung in den letzten 31 Jahren auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene miterlebt. Wie haben sich die Berufsmeisterschaften verändert?
Da ist zum einen die Wahrnehmung, die sich völlig verändert hat. Obwohl die Schweiz ja schon seit 1953 an WorldSkills teilnimmt, konnten wir erst bei den beiden WorldSkills in St. Gallen (1997 und 2003) zum ersten Mal ein gewisses Interesse wecken. In den letzten Jahren ist die Bekanntheit nun noch einmal deutlich gestiegen.
Zum Anderen sind es die Dimensionen und die Grösse der Weltmeisterschaften: Mit weniger Berufen war es natürlich auch familiärer, man hatte einen engeren Kontakt zu allen Involvierten. Neben der Anzahl Berufe sind auch die Anforderungen und die Zahl der Involvierten pro Skill deutlich gestiegen.
Du betrachtest dieses Wachstum auch kritisch…
Ja. In meinen Augen wurde der Apparat bei den WorldSkills zum Teil unnötig aufgeblasen. Unterdessen ist die Durchführung einer WorldSkills selbst für ein Land wie die Schweiz kaum mehr stemmbar und auch der Aufwand für die Verbände steigt stetig. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Ich hoffe, dass hier die positiven Erfahrungen der diesjährigen dezentralen WorldSkills dazu beitragen, gewisse Korrekturen anzubringen.
Inwiefern?
Lass es mich an einem Beispiel erklären. Bei den Carrosseriespenglern war es bis anhin die Vorgabe, dass mit ganzen Autobodys gearbeitet werden muss. Damit überhaupt ein Veranstalter für das dezentrale Format gefunden werden konnte, gab es diesbezüglich Zugeständnisse. In Bern haben die Carrosseriespengler an den WorldSkills Competition an Einzelteilen statt an ganzen Autobodys gearbeitet. Das hat einerseits die Materialkosten massiv reduziert, aber auch den Platzbedarf für den Wettbewerb deutlich verringert -- ganz ohne Einfluss auf die Qualität des Wettkampfs. Oder in Luzern teilten sich die 30 Köchinnen und Köche acht Küchen, Vorgabe an einer «normalen» WorldSkills wären 15. Auch das hat einwandfrei funktioniert.
Das dezentrale Format zeigt, dass auch mit weniger Aufwand faire und hochstehende Wettkämpfe möglich sind. Ich hoffe, dass dieses Thema nun von WorldSkills International und den Nationen angegangen wird.
Du hast die dezentralen WorldSkills angesprochen. Wie hast du das Ganze erlebt?
Zuerst möchte ich festhalten, dass dieses tolle Projekt ohne die Initiative der deutschsprachigen Nationen, besonders auch der Schweiz, nicht zustande gekommen wäre. Ich habe diese Idee von Anfang an unterstützt. Das Ganze wurde innert 3 Monaten auf die Beine gestellt, was sehr eindrücklich ist.
Auffallend war, wie sich die Dynamik innerhalb der Wettbewerbe durch diese Durchführungsform verändert hat. Die Expertinnen und Experten hatten einen viel engeren und besseren Austausch, weil sie statt mit ihrer Delegation eben innerhalb des Skills die Freizeit gemeinsam verbracht haben. Es war viel mehr ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen von Experten aus aller Welt erhalten.
Und wie schon erwähnt: Gewisse langjährige Vorgaben bezüglich Infrastruktur, die unnötig sind, wurden sichtbar.
Zurück zum Schweizer Team: Die Konkurrenzsituation auf internationaler Ebene wurde im Verlaufe der Zeit härter. Was hat sich dadurch für die Schweizer Teilnehmenden, aber auch das Umfeld verändert?
Die ganze Vorbereitung und Betreuung hat eine Riesenentwicklung gemacht. Als ich vor 31 Jahren begonnen habe, da haben wir uns ein halbes Jahr vor den WorldSkills das erste Mal getroffen. Dann gab es vielleicht mal eine Woche Trainingslager.
Nun dauert die Vorbereitung viel länger, ist intensiver. Wir arbeiten eng mit den Verbänden zusammen, haben Unterstützung durch Physiotherapeuten und Mentalcoaches. Das ist letztlich auch nötig, um international mitzuhalten. Aber natürlich ist der Aufwand für alle Beteiligten, Berufsverbände, Arbeitgeber und die Wettkämpfer selber, sehr hoch.
Was muss die Schweiz tun, damit wir auch mittel- und langfristig an Berufsweltmeisterschaften zu den Besten gehören?
Wir sind und waren stets ganz vorne mit dabei. Da ist es natürlich auch schwieriger, sich resultatmässig zu verbessern, als wenn man von unten kommt. Wir stellen aber fest, dass die WorldSkills auch für andere Länder an Bedeutung gewonnen haben und sich die Qualität massiv verändert hat. China wurde in den letzten Jahren immer stärker, Frankreich hat im Hinblick auf die WorldSkills in Lyon massiv aufgeholt und befand sich an den WorldSkills Competition 2022 resultatmässig auf Augenhöhe mit der Schweiz.
Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sicher sind. Wir müssen uns stets verbessern, kritisch hinterfragen. Auch wir Schweizer können von anderen Ländern lernen.
Inwiefern?
Ich denke da speziell auch an die vielen neuen Berufsfelder, die meist einen Bezug zur IT oder Technologie haben. Es sind Skills der Zukunft, für die es in der Schweiz noch gar keine Berufslehre gibt. Da müssen wir gemeinsam mit den Berufsverbänden aufpassen, dass wir den Anschluss nicht verlieren.
Hier sehe ich aber auch eine der grossen Chancen der WorldSkills-Teilnahme für die ganze Berufsbildung. Wir sehen durch den internationalen Vergleich, was in Bezug auf die Ausbildung von jungen Fachkräften international abgeht und erhalten so auch wertvolle Hinweise, wo wir in der Schweiz Nachholbedarf haben.